Wir sind mitten im Chaos eines großen Wandels. Besinnliche Zeit - zur Ruhe kommen, das Jahr  ausklingen lassen - das war auch vor der Coronazeit schon schwierig - und jetzt? 

In diesem Aufruhr, der Unsicherheit des Dezember 2021 klingt das wie aus einem Märchen oder  einem Wellnesskatalog. 

Dennoch ist dieser Innere Ort der Ruhe gerade jetzt wichtiger denn je. Nur von dort kann die Lösung kommen. Nach Innen, in die Meditation und Selbstwahrnehmung zu gehen ist etwas,  wofür  wir uns bewusst  entscheiden müssen- und es geht besser, wenn man es gemeinsam tun kann. 

Dr.Clarissa Pincola Estés

Not macht erfinderisch- ein altes Sprichwort- sehr aktuell gerade. Kreativität entsteht gern mitten aus dem Chaos. Wenn alte Konzepte nicht mehr funktionieren. Wenn ein Trott unterbrochen wird. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Wie bist Du durch dieses Jahr gekommen? Welche Deiner Träume und Pläne sind durch die vielen Herausforderungen verändert worden? Vielleicht sind einige brutal abgestürzt? Und möglicherweise sind neue Ideen und Visionen sind zu Dir gekommen in diesem „Corona-Jahr“? Ich habe meine Praxis nach konsequent draußen verlegt. Habe mit meinen Klient*innen in der Natur gesessen, wir sind durch den Wald gegangen – walk and talk- und konnten erleben, dass die Natur uns antwortet. Es war oft wir ein kleines Mysterium- der Impuls vom aufbrausenden Wind, das Durchbrechen eines Sonnenstrahls, passgenau zum inneren Erleben. Das Stolpern, das Schimpfen des Eichelhähers, eine aufdringliche Ameise- all dies wurde lebendiger Teil der Therapie, öffnend, beglückend, erhellend. Die Natur- sie ist die größte Therapeutin. Ich stelle fest- je länger ich lebe, umso deutlicher, dass nicht ich selbst meine Ideen „habe“ oder meine Visionen erschaffe. Jegliche Kreativität entsteht durch das Leben selbst. Und ja, wir SIND das Leben! Es ist in uns allen und wartet- auf einen Moment der Offenheit. Meine Anstrengung, mein Wollen, die erlernten Denkmuster und Gewohnheiten, sie stehen dem Leben beim Kreieren neuer Möglichkeiten meist im Weg, bescheren eher Kopfgeburten und Illusionen.

Victor Frankl

Ganz gleich, ob außen, in Natur und Ökosphäre, oder in unserem Körper und dem Ökosystem unserer Psyche - wenn ein System instabil wird, ist das gefährlich. Aber es gibt die Möglichkeit, dass nach einem Zusammenbruch eine Neuorganisation entsteht - und zwar auf einer komplexeren und stabileren Ebene ! Das ist der Code der Evolution. So entsteht einfach alles. Wie das geht ? Nur und ausschließlich, wenn aus der Erfahrung gelernt wird. Es kann sich also in jedwede Richtung entwickeln. Im besten Fall lernen wir und sind offen für die komplexere Lösung. Aber wir können auch zurückfallen in Chaos und größere Instabilität - um dann zur Beruhigung noch schneller in unserem Hamsterrad zu  laufen.

Wie können wir lernen? Indem wir es wagen, hinzuschauen und mit dem, was da ist, in Kontakt zu sein.  Die Zeit zwischen den Jahren lädt dazu ein, sich das eigene Lebensgewebe mal von unten anzuschauen. Die Fäden zu entwirren, neue Farben und Muster zu entdecken und Verknotetes abzuschneiden. Schon unsere Ahn*innen haben das praktiziert. Sie haben in dieser Zeit  nicht gearbeitet, sondern sich in den Stuben zusammengesetzt. Lauschend. Webend. Spinnend. Offen für Ahnungen und Informationen aus dem Zwischenraum.

Was ich in all den Krisen meines Lebens gelernt habe ist: Es gibt dort nicht die Kontrolle und Sicherheit, nach der unsere Angst so schreit – dafür gibt es aber etwas viel Größeres. Das ist dieser Zustand der Offenheit. Die Offenheit selbst ist der vertrauenswürdige Raum. Von dort kommt das Neue. Ich selbst bin die Offenheit. Bin das Werdende.

Meine Ausbilderin in Ökotherapie, Meredith Little, nennt das: „We are our becomingness“. Weise, weise Frau. Denn dann wird vieles möglich. Die Augen öffnen, forschend erkennen, wie wir in diese Lage kamen und was wir brauchen, um weiterzugehen.